Zellen programmieren
Bioingenieure sind in der Lage, das genetische Programm von Zellen gezielt umzugestalten. Auf diese Weise werden diese mit neuen Eigenschaften oder Fähigkeiten ausgestattet, die in der Natur so nicht vorkommen.
Das Umprogrammieren von Zellen – derzeit das dynamischste Feld in der Synthetischen Biologie – baut im Wesentlichen auf den technologischen Durchbrüchen in der modernen Biotechnologie auf. Schon seit Jahrzehnten werden hier gentechnische Verfahren genutzt, um Mikroorganismen oder Zellen zu lebenden Fabriken für bestimmte Naturstoffe, Chemikalien oder pharmazeutischen Wirkstoffen umzufunktionieren. Biotechnologen gehen hier wie Maschinenbauingenieure heran, um maßgeschneiderten „Produktionsstraßen“ zu konzipieren, zu bauen und dann auch in den Zellen kontinuierlich zu überprüfen.
Auf dem Weg zur zellulären Fabrik
In den Anfängen der molekularen Biotechnologie wurden Bakterien als Produktionsorganismen lediglich mit dem zusätzlichen Bauplan für ein einziges Protein ausgerüstet. Inzwischen gelingt es Forschern der Synthetischen Biologie, komplexe Stoffwechselwege mit zahlreichen enzymatischen Synthese-Schritten zu entwerfen, Zellen damit auszustatten und auf diese Weise industrielle Produkte herzustellen (zu Anwendungen). Bei diesem Metabolic Engineering bedienen sich die Forscher genetischer Steuerelemente und Biosynthese-Gene unterschiedlicher Herkunft – etwa aus Pflanzen, Tieren oder Mikroorganismen. Diese Komponenten können per DNA-Synthese hergestellt und miteinander kombiniert werden, um Zellen in effiziente Fabriken zu verwandeln. Ein klassisches Beispiel ist die Produktion einer Vorstufe des Malariamittels Artemisinin. Forscher um Jay Keasling von der Universität in Berkeley (USA) haben Hefen ein Ensemble aus mehr als einem Dutzend Genen aus Bakterien, Hefen und der Beifuß-Pflanze Artemisia annua eingesetzt (Paddon; Nature 2013). Nun sind die Designer-Hefen in der Lage, den Stoff Artemisininsäure herzustellen (zu Anwendung-Medizin).
Für die Produktionsorganismen bedeuten neue Syntheserouten in ihrem Stoffwechsel eine erhebliche Umstellung. Forscher in der Synthetischen Biologie überprüfen daher mithilfe von Stoffwechselfluss-Analysen, wie effizient die Synthese in den Zellfabriken abläuft und wie sich die Produktion weiter optimieren und ankurbeln lässt. Hier fließen auch Erkenntnisse der Systembiologie ein, die die Dynamik komplexer molekularer Prozesse ganzheitlich darstellt. Die Forscher setzen zudem mathematische Modelle und Computersimulationen ein, um Vorhersagen zum Verhalten der Zellen zu machen und die Systeme weiter zu optimieren. Darüber hinaus werden all diese Instrumente dazu eingesetzt, um Zellen mit Minimalgenomen zu entwerfen.
Genetische Schaltkreise designen
Während beim Metabolic Engineering in einer Zelle ein neuer Biosynthese-Weg integriert wird, verfolgen einige Forscher in der Synthetischen Biologie die Vision, Zellen zu einem intelligenten Gerät umzufunktionieren, das auch von außen kontrolliert werden kann. Dazu wollen die Bioingenieure einen Katalog mit standardisierten genetischen Bauteilen oder Schaltermodulen entwickeln und diese zu komplexen Regel- und Schaltkreisen zusammenzubauen, die sich gezielt steuern lassen. Ihr Vorbild ist zum Beispiel die Elektrotechnik: Hier werden einzelne elektronische Bausteine wie Transistoren, Widerstände oder Kondensatoren zu integrierten Schaltungen kombiniert. Solche Schaltungen können standardisiert werden und übernehmen so viele Funktionen. Durch intelligente Verknüpfung der Schaltungen kommt man zu komplexen Schaltkreisen oder gar zur Konstruktion von Computern.
Tatsächlich steht auch Bioingenieuren eine Vielfalt an molekularen Modulen zur Verfügung: So haben Genomforscher bereits zahlreiche molekulare Genschalter aufgespürt. Mit solchen Genschaltern – das können Proteine, DNA- oder RNA-Moleküle sein – lässt sich die Aktivität von Genen exakt steuern. Sie können also kontrolliert an- und abgeschaltet werden. Auch Komponenten der Zellkommunikation sind immer besser verstanden. Optogenetische Schalter – also Genschalter, die mit Licht gesteuert werden – bieten hier ebenfalls neue Spielräume, um die Zellen in ihrem Verhalten von außen gezielt zu steuern.
Wenn man solche Schalter-Module mit anderen molekularen Komponenten verknüpft, so lassen sich komplexe Regelkreise – sogenannte genetische Schaltkreise – zusammenstellen. Zu den Vorreitern dieser aus der Elektro- und Computertechnik entlehnten Herangehensweise zählen Ron Weiss und Christopher Voigt vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston (USA). Einige bemerkenswerte Fortschritte sind bereits gelungen. Zu den Meilensteinen zählen ein genetischer Kippschalter, der Toggle Switch (Gardner; Nature 2000), oder komplexe genetische Schaltungen, die Zellen in die Lage versetzen, binäre Informationen wie ein Computer zu verarbeiten oder zu speichern (Siuti, Nature Biotechnology 2013). Ein Katalog mit standardisierten genetischen Bauteilen für Bioingenieure – die BioBricks – ist am MIT entstanden. Er formt die Werkzeugbasis für iGEM – dem internationalen Studentenwettbewerb der Synthetischen Biologie. Ein klassisches Beispiel: Die Nachwuchsingenieure haben Bakterien mit genetischen Schaltkreisen in lichtempflindliche Pixel verwandelt und so einen Bakterienrasen erzeugt, mit dem sich Fotos aufnehmen lassen.
Designerzellen für medizinische Anwendungen schaffen
Es gibt auch erste anwendungsorientierte Beispiele für genetische Schaltkreise und umprogrammierte Zellen in der Medizin. So statten Forscher um Martin Fussenegger von der ETH Zürich Zellen mit einem genetischen Programm aus, das auf bestimmte Stimuli von außen reagiert und dann mit der Herstellung einer Substanz beginnt. Dadurch werden die Designer-Zellen lebendige Messstation und Wirkstofffabrik in einem (zu Anwendung-Medizin).