Mikrokompartimente – Räume fürs Leben
1665 erschien Micrographia, die erste Veröffentlichung mikroskopischer Darstellung, des britischen Botanikers Robert Hooke. Robert Hookes Beobachtungen zeichnen sich nicht nur dadurch aus, dass er mit Hilfe seines Mikroskop als Erster bis dato nie von Menschen gesehene Details biologischer Materie erblickte, sondern er deutete seine Beobachtungen auch in vorausschauender Weise. Bei den allerersten mikroskopischen Beobachtungen von Pflanzenteilen, zum Beispiel von Kork, konnte man nicht mehr als ein einfaches Mosaik erkennen. Robert Hooke deutete diese aber nicht als Bausteine oder gar als Netz, sondern vielmehr als Aneinanderreihung von mikroskopischen kleinen Räumen, ähnlich wie Bienenwaben. Robert Hooke prägte daher bereits den Begriff der Zelle (lat. cella für Kammer) und erkannte zudem die Grundeinheit allen biologischen Lebens.
Wir gehen heutzutage davon aus, dass das Leben auf der Erde vor etwa drei bis vier Milliarden Jahren in den urzeitlichen Ozeanen entstanden ist, in der sogenannten Ursuppe. Ein Großteil der zeitgenössischen Wissenschaftler ist davon überzeugt, dass mikroskopisch kleine Bläschen dabei die entscheidende Rolle gespielt haben. Man geht sogar so weit in der Annahme, dass diese Mikrokompartimente die „Keimzelle“ der sogenannten Protozelle und damit allen Lebens, so wie wir es heute kennen, gebildet hat.
Ohne Zelle würden sich biochemische Produkte verflüchtigen
Diese Mikrokompartimente könnten die Ausgangsstruktur für die sogenannten Protozellen gewesen sein. Die meisten Vorgänge des biologischen Lebens sind – aus Sicht der Naturwissenschaften – chemische Reaktionen und Gleichgewichtsabläufe (zu Cluster B: Nicht-Gleichgewichts-Prozesse). Man stelle sich nun eine chemische Reaktion zwischen zwei Stoffe vor, aus der ein bestimmtes Produkt hervorgeht, zum Beispiel ein lebenswichtiger Zucker. Würde diese Reaktion einfach frei im urzeitlichen Ozean stattfinden, würde sich das Endprodukt dieser Reaktion in den Weiten der Ursuppe verflüchtigen und die Reaktion wäre praktisch ohne Effekt. Schließt man aber die beiden miteinander zu reagierenden Stoffen in einen winzigen Raum ein, so bleibt das Endprodukt zwar nur dort, aber dafür in hoher Konzentration erhalten und kann von einem Lebewesen genutzt werden.
Der Einschluss aller an den Lebensprozessen eines Lebewesens beteiligten Stoffe in ein mikroskopisch kleines Kompartiment ist vermutlich auch die Voraussetzung biologischer Evolution. So könnte sich etwa eines von zwei Mikrokompartimenten, in denen die gleichen Ausgangsstoffe einer Reaktion enthalten sind, an einem etwas wärmeren Ort in der Ursuppe befinden. Dadurch fiele das Reaktionsprodukt leicht anders aus, zum Beispiel könnte ein ringförmiger Zucker statt eines linearen Zuckermoleküls entstehen. Dieses anders geartete Reaktionsprodukt bringt eventuell einen gewissen Vorteil für die jeweilige Zelle. Wären die Endprodukte nun nicht in getrennte Volumen eingeschlossen, würden sie sich vermischen, und es könnten sich keine unterschiedlichen Arten herausdifferenzieren.
Derartige mikroskopische Kompartimente spielen daher als mögliche Grundlage für künstliche Zellen auch in einem Cluster von MaxSynBio die Hauptrolle. Hier untersuchen wir, wie kann man solche mikroskopischen Kompartimente herstellen kann und was zu beachten ist, wenn diese in der Forschung verwendet werden sollen. Einerseits sollen die Mikrokompartimente der Synthetischen Biologie sich nah am natürlichen Vorbild einer biologischen Zelle orientieren, andererseits sollen sie leicht handhabbar und mit vielen verschiedenen biochemischen Systemen kompatibel sein. Darüber hinaus wünschen sich Wissenschaftler, dass die Produkt gut reproduzierbar sind, unter gleichen Bedingungen also immer das gleiche Ergebnis entsteht, und dass sich das Produkt kontrolliert verändern lässt. All diese Anforderungen können derzeit nicht mit einer einzigen Methode erfüllt werden. Daher bedienen wir uns dreier Arten von Mikrokompartimenten, von denen jedes für sich genommen eine der Anforderungen recht gut erfüllt: Lipidvesikel, Polymersome und Tröpfchen. Die Methoden, Mikrokompartimente zu schaffen, lassen sich dabei untereinander kombinieren, um diese den Bedingungen des jeweiligen Experimentes möglichst gut anpassen zu können.
Grundlage aller drei Methoden sind allgemeine Überlegungen zur Struktur einer Zelle. Was macht eine Zelle, ein Kompartiment aus? Es ist die Grenzfläche, die ein inneres Volumen von einem äußeren abgrenzt genauso wie die Wand eines Raumes. Gleichzeitig soll diese abgrenzende Fläche aber die Möglichkeit zum Stoffaustausch und zur Kommunikation bieten, so wie es Fenster und Türen in einer Wand tun. Es kommt also darauf an, wie die Grenze zwischen Innen und Außen beschaffen ist. Darin unterscheiden sich die Methoden.
Lipidvesikel – der Natur sehr ähnlich
Um das natürliche Kompartiment Zelle möglichst getreu abzubilden, lohnt es sich die allgemeinen Bausteine der Zellwand beziehungsweise der Zellmembran zu betrachten. Diese besteht im Wesentlichen aus sogenannten Lipiden, amphiphilen (wasser- und fettliebenden) Molekülen mit einem hydrophophilen (wasserliebenden) Kopf und einem hydrophoben (wasserabweisenden) beziehungsweise lipophilen (fettliebend) Schwanz, einer Fettsäurekette. Die Zellmembran besteht aus einer doppelten Schicht solcher Lipide, die sich in beiden Schichten parallel zu einander anordnen.
Gibt man Lipide als einzelne Moleküle in Wasser oder eine wässrige Lösungen, ordnen sie sich spontan zu solch flachen Doppelschichten an. Diese einfachste Struktur kann man bereits als künstliche Membranen betrachten. Diese spontane Ordnung entsteht, weil sie aus physikalischen Gründen für das Gemisch aus Wasser und Lipiden am günstigsten ist. Aus den gleichen Gründen schließen sich die Doppelschichten auch zu kugelförmigen Strukturen zusammen, zu sogenannten Lipidvesikeln oder Liposomen. Das ist das Faszinierende: gibt man den Grundbaustein von Zellmembranen in Wasser, bilden sich spontan Mikrokompartimente, die natürlichen Zellen in einfachster Form schon sehr nahe kommen.
In der Biophysik werden Lipidvesikel bereits seit Längerem verwendet. Auch bei MaxSynBio arbeiten wir mit solchen Liposomen. Wir untersuchen, wie wir Lipidvesikel mit verschiedenen Eigenschaften gezielt und effizient herstellen können. Vor allem aber versuchen wir, in diese Mikrokompartimente weitere zelluläre Funktionen wie die des Stoffwechsels (zu Cluster B: Nicht-Gleichgewichts-Prozesse) und den der Polarisierung (zu Cluster C: Nachahmung von Lebensprozessen) zu implementieren. Die notwendigen Lipide können entweder aus natürlichen Zellen gewonnen oder komplett synthetisiert werden. Da Lipidvesikel natürlichen Zellen schon ziemlich ähneln, eignen sie sich für Systeme, die biologische Vorgänge nachahmen, besonders gut. Allerdings ist man bei der Auswahl der Bausteine für die künstliche Zellmembran eingeschränkt, zudem ist es bei Lipidvesikeln schwierig, diese in großer Zahl stabil und reproduzierbar herzustellen.
Polymersome – stabil und flexibel
Mit anderen amphiphilen Polymeren statt Lipiden verwendet können wir künstliche Membranen flexibler strukturieren und funktionalisieren. Abhängig von der Molekülstruktur der Polymere können sich diese Membranen auch wieder zu Mikrokompartimenten zusammenschließen. Künstliche Membranen aus Lipiden sind recht fragil. Membranen aus Polymeren können so konstruiert werden, dass sie stabiler sind. Indem wir Membranen aus Polymeren und aus Lipiden kombinieren, vereinen wir die Stabilität mit der Biomimetik, der Ähnlichkeit zu biologischen Vorbildern.
Tröpfchen – die einfachste Variante eines wassergefüllten Reaktionsraums
Alles biologische Leben ist auf Wasser angewiesen. Nicht nur als eine Art Nährstoff, sondern vor allem auch als Reaktionsmedium. Die äußere und innere Umgebung der Liposome und Polymersome besteht ebenfalls aus Wasser oder einer wässrigen Lösung. Die einfachste Variante aber, eine mikroskopische, wassergefüllte Reaktionsräume zu erzeugen, ist eine Emulsion, bei der kleine Wassertröpfchen in Öl eingeschlossen sind. Gibt man mit einer einfachen, dünnen Spritze ein geringes Volumen einer wässrigen Lösung in Öl, bilden sich Tröpfchen, die sich nicht mit dem Öl vermischen.
Automatisiert man dieses Verfahren, entsteht auf diese Weise eine große Zahl von Tröpfchen. Üblicherweise geschieht dies in eigens dafür hergestellten sogenannten Mikrofluidikstrukturen, die aus einer Vielzahl mikroskopisch kleiner Kanäle, Schleusen, Spritzen etc. bestehen. Die Größe der Tropfen lässt sich durch die Breite der Kanäle, der verwendeten Drücke etc. einstellen. Dieses Verfahren ist einerseits weit vom biologischen Vorbild entfernt, andererseits können wir auf diese Art und Weise gleichartige Mikrokompartimente in großer Zahl herstellen. Zusätzlich können wir in die Grenzfläche Polymere und Lipide einbringen, um somit eine biomimetische Membran in diesen Tropfen zu erzeugen.