Ethische Aspekte - Wissenschaft im Dialog
Längst nicht alle Fragen, die die synthetische Biologie aufwirft, lassen sich mit den Instrumenten der Naturwissenschaft beantworten. Wenn es darum geht, die essentiellen Bausteine oder eine Minimalform des Lebens zu identifizieren und diese eventuell sogar im Labor zu erzeugen, stellen sich auch zahlreiche ethische und gesellschaftliche Fragen. Dies hat die synthetische Biologie mit vielen Entwicklungen in der Biotechnologie und auch in anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen gemeinsam.
Synthetische Biologie wird oft ausschließlich als Versuch verstanden, künstliches Leben zu schaffen. Diese Vorstellung ruft bei vielen Menschen ebenso wie die grüne Gentechnik Unbehagen oder gar Ablehnung hervor. Auch wenn die Schaffung einer rudimentären synthetischen Zelle kein vorrangiges Ziel von MaxSynBio ist und sein Erreichen auch noch sehr fraglich ist, sind sich die Wissenschaftler des Forschungsverbundes der ethischen Dimension ihrer Projekte völlig bewusst. Sie reflektieren diese Aspekte aber nicht nur, sondern streben auch einen Austausch darüber mit der Öffentlichkeit an. Sie wollen die Gesellschaft so in die Lage versetzen, informierte Entscheidungen über die Nutzung der Möglichkeiten zu treffen, die Fortschritte in der Synthetischen Biologie eröffnen.
Fortlaufende Evaluation des Forschungsvorhabens
Um das Wissen, das für eine profunde Abwägung ethischer Fragen im Zusammenhang mit der Synthetischen Biologie erforderlich ist, bereit zu stellen, macht MaxSynBio seine Ziele und Ergebnisse von Anfang an transparent und lässt ethische und naturwissenschaftliche Forschung ineinander greifen. In einem Teilprojekt verfolgen die Wissenschaftler des Lehrstuhls für systematische Theologie (Ethik) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg daher fortlaufend die Arbeiten und Ergebnisse des Forschungsvorhabens.
Ihre Beobachtungen evaluieren und bewerten die Forscher anschließend nach verschiedenen Kriterien. Zum Beispiel danach, inwieweit eine Entwicklung sicher ist und welche Sicherheitsvorkehrungen im Umgang mit ihr berücksichtigt werden müssen. Zudem wird bei der Bewertung von Forschungsergebnissen auch die kulturelle Wahrnehmung berücksichtigt, um Entwicklungen im Kontext der Tradition und des Wertekanons einer Gesellschaft einzuordnen. Ein weiteres Kriterium ergibt sich aus der Frage, ob bestehende Rahmenregelungen etwa für die Sicherheit ausreichen, um unter Abwägung von Chancen und Risiken einen verantwortungsvollen Umgang mit den Forschungsergebnissen und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten zu gewährleisten.
Wenn die Forscher die Fortschritte in der Synthetischen Biologie nach diesen Kriterien bewerten, berücksichtigen sie, dass sich die Kriterien selbst mit der fortschreitenden Entwicklung verändern.
Die Ergebnisse der Evaluation werden die Wissenschaftler anschließend in Bezug zu anderen Entwicklungen in der Biotechnologie, etwa der Stammzellforschung oder der Möglichkeit, mithilfe der Methode CRISPR/Cas-9 Gene sehr gezielt zu verändern.
Welche Erkenntnisse die Beobachtung, Evaluation und der Vergleich mit anderen Biotechnologien erbringt, werden die Forscher bei den regelmäßigen Projekttreffen von MaxSynbio präsentieren und so einen wechselseitigen Austausch zwischen naturwissenschaftlicher und ethischer Forschung fördern. Diese Verknüpfung dient den Ethikern auch dazu, ihre Forschung immer wieder kritisch zu hinterfragen.
Ein Modell für Gestaltung in der Gesellschaft
Neben der Begleitung und Reflexion des Forschungsverbundes MaxSynBio aus der Perspektive der Ethik verfolgen die Erlanger Wissenschaftler das übergeordnete Ziel, ein Modell zu entwickeln, wie die Synthetische Biologie auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen politisch gestaltet werden kann und muss. Das fängt bei der Frage an, wieweit diese Gestaltung gehen soll. Sie könnte sich beispielsweise alleine auf Sicherheitsbestimmungen beschränken, kann der Forschung aber auch ethisch motivierte Grenzen setzen. So ergeben sich zahlreiche Fragen: Welche Forschung soll erlaubt sein? Welche verboten? Auf welcher Grundlage wird das entschieden? In diesem Zusammenhang muss auch entschieden werden, ob es für die Forschung ein Moratorium geben soll, bis geklärt ist, was erlaubt ist und was nicht. Und schließlich muss geregelt werden, wie eventuelle Verbote durchgesetzt werden.
Ein solches Steuerungsmodell für die politische Entscheidungsfindung in der Gesellschaft muss natürlich berücksichtigen, welche Werthaltung die Gesellschaft als Ganze zur Synthetischen Biologie einnimmt. Diese Werthaltung der gesamten Gesellschaft ergibt sich aus den Werthaltungen aller ihrer Akteure. Daher untersuchen die Wissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg zunächst, mit welchen Werthaltungen verschiedene Akteure wie etwa Wissenschaftler, Bürgerinnen und Bürger, Medienvertreter und Politiker diesem Thema entgegentreten: Begrüßen sie die Errungenschaften der Synthetischen Biologie, oder lehnen sie diese ab? Fällen sie dabei pauschale Urteile, oder differenzieren sie wie bei der Gentechnik nach der Anwendung?
Die Werthaltungen der einzelnen gesellschaftlichen Akteure sowie der Gesellschaft als ganzer ermitteln die Erlanger Forscher auf verschiedenen Wegen. Sie wollen dabei auch nachvollziehen, auf welcher Basis sich also etwa Laien eine Meinung zur Synthetischen Biologie bilden und wie sich eine gesellschaftliche Position zu solchen neuen Technologien entwickelt. Auf diese Weise möchten sie nicht zuletzt verstehen, wie es etwa im Fall der Gentechnik zu einer paradoxen Stimmung in der Gesellschaft kommen kann, die medizinische Anwendungen der Gentechnik durchaus begrüßt, deren Einsatz in der Pflanzenzüchtung aber ablehnt.
Die öffentliche Wahrnehmung der Synthetischen Biologie
In einem Ansatz, die Werthaltung der Gesellschaft zu erfassen, analysieren die Erlanger Wissenschaftler, wie die Synthetische Biologie in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird und wie sich diese mit dem Forschungsfeld auseinandersetzt. Zu diesem Zweck untersuchen sie die Sprachformen, die verschiedene gesellschaftliche Akteure im Zusammenhang mit dem Forschungsfeld verwenden. Bei dieser Analyse interessieren sich die Wissenschaftler besonders für Metaphern und Vorstellungen wie etwa „Gott spielen“, „Leben vom Reißbrett erschaffen“ und „lebendige Maschinen“, Medien und Politik, aber auch die Wissenschaft in ihren Veröffentlichungen selbst im Zusammenhang mit der Synthetischen Biologie verwenden.
Solche Sprachformen sind von großem Interesse, weil darin die unterschiedliche Einstellungen, insbesondere Werte, und Betrachtungsweisen der Akteure zu Synthetischen Biologie zum Ausdruck kommen. Das gilt etwa für Fragen, die mit der Anwendbarkeit von Forschungsergebnissen in zivilen und militärischen Bereichen verbunden sind, für Fragen nach der Sicherheit und bleibenden Unsicherheiten sowie Fragen der Biopatentierung.
Um ein Modell für fundierten politische Entscheidungen zu entwickeln, wie die Synthetische Biologie gestaltet werden soll und kann, beschränken sich die Forscher aber nicht nur auf die Analyse, wie verschiedene gesellschaftliche Akteure das Thema öffentlich darstellen und wahrnehmen. Sie möchten auch erfahren, welche Haltung einzelne Akteure, vor allem die Wissenschaftler, die selbst auf dem Gebiet aktiv sind, unabhängig von ihrer öffentlichen Positionierung einnehmen. Zu diesem Zweck führen die Erlanger Forscher mit ihren naturwissenschaftlichen Kollegen Interviews. Darin behandeln sie etwa die Fragen, die sich aus der Möglichkeit ergeben, dass Ergebnisse der Synthetischen Biologie sowohl im zivilen als auch militärischen Bereich angewendet werden können. Sie gehen zudem auf sicherheitspolitische Regelungen ein sowie auf die Sichtweise der Wissenschaftler auf die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.
In Workshops werden die Einstellungen der Bürger ermittelt
Bei diesen Themen muss aber natürlich auch die Perspektive der Bürger berücksichtigt werden, die weder Forschung betreiben, noch darüber in den Medien berichten oder als Politiker über deren Fortgang, Restriktionen und Anwendung entscheiden. Zu diesem Zweck wird es Konferenzen geben, in denen die aktuellen Ergebnisse von MaxSynBio einem breiten Publikum vorgestellt werden und auf denen Laien zudem die Möglichkeit haben mit der Wissenschaft in einen Dialog zu treten. Das heißt auch, dass die Wissenschaft versucht Anregungen aus der Öffentlichkeit aufzugreifen.
Parallel zu den Konferenzen organisieren die Erlanger Forscher Workshops, in denen sie gezielt die Einstellungen und Bewertungen der Bürgerinnen und Bürger zur Synthetischen Biologie ermitteln. Diese öffentlichen Veranstaltungen können in verschiedenen Formen, etwa als Szenario-Workshops, als Bürgergespräche und in Sciencecafés gehalten werden. Die Werthaltungen, die in den Workshops erfasst werden, fließen als wesentlicher Bestandteil in die Entwicklung des Modells ein, anhand dessen sich politische Entscheidungen zu dem Forschungsgebiet suchen lassen.
Indem der Forschungsverbund MaxSynBio die ethische Perspektive und die breite Öffentlichkeit einbezieht, trägt er nicht nur dem gewachsenen Interesse der Öffentlichkeit an der Wissenschaft Rechnung, es verhindert auch, dass Vorurteile und einseitige, wenn nicht gar falsche Informationen die gesellschaftliche Diskussion und die daraus resultierenden politischen Entscheidungen bestimmen.
PH