Leben ist Definitionssache

Eine eindeutige, allgemein akzeptierte Definition des Lebens gibt es nicht. Immerhin hilft Biologen eine Liste von Kriterien, Lebewesen zu erkennen. Die Synthetische Biologie möchte die Grenze zwischen belebter und unbelebter Materie erkunden.

Was ist Leben? – das ist eine uralte Kernfrage der Biologie, die sich als Wissenschaft mit den Lebewesen beschäftigt. Doch bis heute bleibt das Phänomen Leben enorm komplex und schwierig zu fassen. Je nach Perspektive und Wissenschaftsdisziplin – ob Biologe, Chemiker, Physiker oder Philosoph – gibt es viele verschiedene Versuche, sich einer umfassenden Definition von Leben anzunähern. Eine allumfassende Definition haben die Forscher bisher jedoch noch nicht gefunden.

Es ist allerdings wichtig, die typischen Merkmale des Lebens zu erkennen. Etwa für Astrobiologen, die auf fremden Planeten im Universum nach alternativen Lebensformen suchen. Auch Evolutionsforscher, die die Ursprünge des Lebens auf der Erde erforschen und im Labor nachstellen wollen, wünschen sich eindeutige Kriterien, nach denen sie unbelebte Materie von belebter unterscheiden können. Und natürlich die Forscher der Synthetischen Biologie, die unter anderem herausfinden wollen, was die Minimalausstattung einer lebenden Zelle ausmacht, und als ein Fernziel biologische Systeme von Grund auf entwerfen und konstruieren wollen.

Einige der Schwierigkeiten gründen in der Natur der Biologie: In der Chemie und der Physik gibt es umfassende Theorien wie etwa die Quantentheorie und das Standardmodell der Teilchenphysik. Sie erklären, wie Materie aufgebaut ist und was die Welt im Innersten zusammenhält. In der Biologie fehlt eine ähnlich umfassende Theorie, die sich auch rückwärts interpretieren ließe, um etwa zu klären, wie der Urknall des Lebens ausgesehen haben könnte.

Die Checkliste: wichtige Kennzeichen von Leben

Trotzdem haben sich Biologen auf einige Schlüsselmerkmale des Lebens einigen können. Es sind diejenigen grundlegenden physikalisch-chemischen Eigenschaften, die ein lebendes System oder einen minimalistischen Organismus ausmachen. Diese Mindestanforderungen sind:

Kompartimente: Lebewesen bestehen oder entstehen aus mindestens einer Zelle, einem durch eine Zellmembran umschlossenen Raum. In diesem Behältnis (Kompartiment) finden alle biochemischen Lebensvorgänge statt.

Programm: Es existiert ein Informationsträger, also ein Programm oder ein genetischer Bauplan, der in Makromoleküle (Proteine) mit einer Funktion übersetzt wird. Das Programm kann archiviert und weitergegeben werden.

Stoffwechsel (Metabolismus): Das System muss zudem fortwährend Stoffwechsel im Kontakt mit der Umwelt betreiben, um sich selbst zu erhalten und sich zu reproduzieren. Da Lebewesen aus thermodynamischer Sicht offene chemische Systeme sind, sind sie gezwungen, ständig mit der Umgebung Stoffe und Energie auszutauschen.

Katalyse: In lebenden Zellen laufen komplexe chemische Reaktionen ab, die Energie verbrauchen. Damit dieses überhaupt schnell genug ablaufen können, sind bestimmte Katalysatoren – die Enzyme – nötig. Spezifische Katalyse ist unabdingbar für Leben, wie wir es auf der Erde kennen.

Regulation: Lebewesen sind offene Systeme, die durch einen ständigen Energie- und Stofffluss in einem Fließgleichgewicht gehalten werden müssen. Das gelingt nur durch fein abgestimmte Regulation aller Stoffwechselvorgänge. Der konstant gehaltene Zustand des inneren Milieus wird auch Homöostase genannt.

Wachstum: Vermehrung setzt Wachstum voraus. Und Wachstum ist das Ergebnis aufbauender Stoffwechselvorgänge. Eine Zelle wächst, bis sie sich teilt und Tochterzellen bildet.

Reproduktion: Die genetische Information, das Programm, lässt sich vervielfältigen und an Tochterzellen vererben. So wird sichergestellt, dass der Informationsträger an kommende Generationen weitergegeben wird. Der biochemische Prozess wird Replikation genannt.

Anpassung/Evolution: Im Zuge der Reproduktion kann es auch zu Veränderung kommen, verursacht durch zufällige Mutationen im Informationsträger. Genetisch leicht veränderte Nachkommen haben unter bestimmten Umweltbedingungen einen Überlebensvorteil und höheren Fortpflanzungserfolg und geben diese Mutation an kommende Generationen weiter. 

Die Schwierigkeit, Leben zu definieren

Die aufgeführten fundamentalen Merkmale sind eine Möglichkeit, den komplexen Begriff Leben zu fassen. Gleichwohl haben sich bereits viele Wissenschaftler und Vordenker an Definitionen von Leben versucht. In dem 1999 erschienen Buch „Biogenesis“  hat der israelische Chemiker Noam Lahav 48 verschiedene Definitionen zusammengetragen. Je nach Autor nähern sie sich der Frage „Was ist Leben?“ aus  verschiedenen Blickwinkeln - chemisch, biologisch, physikalisch, systemtheoretisch oder philosophisch. Jede Definition betont bestimmte Aspekte und hat damit ihre Stärken und Schwächen.

Hier eine kleine Auswahl einflussreicher Definitionen:

Die US-Raumfahrtbehörde NASA stützt sich auf eine Arbeitsdefinition, die eine Expertengruppe um den Chemiker Gerald Joyce Mitte der 1990er Jahre geprägt hat.

„Leben ist ein sich selbst erhaltendes chemisches System, welches die Fähigkeit zur Darwinschen Evolution besitzt.“ (Joyce 1995)

Der kanadische Informationstheoretiker Stuart Kauffman stellt wiederum die Selbstorganisation in den Mittelpunkt:

„Leben ist ein zu erwartendes, kollektives Vermögen katalytischer Polymere zur Selbstorganisation.“ (Kauffman 1996)

Der Physiker Erwin Schrödinger hat in seiner berühmten Vorlesungsreihe „Was ist Leben?“ aus dem Jahr 1943 die Thermodynamik von lebenden Systemen in den Vordergrund gerückt. Er erläuterte, dass Lebewesen wohlgeordnete Muster von Molekülen erzeugen können, wobei sie eine größere Unordnung in ihrer Umgebung erzeugen. Damit bleibt die Evolution von Molekülstrukturen vereinbar mit dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik (Schrödinger 1944).

Die Systemtheorie versteht Leben hingegen als Prozess, in dem die Komponenten des Lebens miteinander in Beziehung stehen. Die chilenischen Biologen Humberto Maturana und Francisco Varela formulierten aus diesem Blickwinkel heraus im Jahr 1974 das Konzept der „Autopoiesis“. Es beschreibt allgemein die Selbsterschaffung und Selbsterhaltung eines Systems. Demnach sind lebende Organismen autopoietische Systeme – also Netzwerke von Prozessen, die in abgegrenzten Einheiten aktiv sind und die in der Lage sind, mehr von sich selbst produzieren und sich selbst zu erhalten (Varela et al. 1974).

Allein schon der Blick auf diese kleine Auswahl zeigt: Alle Versuche, Leben zu definieren, bleiben lückenhaft und umstritten. Solange es keine umfassende Definition gibt, wählen viele Forscher den pragmatischen Weg und begnügen sich bei der Beschäftigung mit dem Phänomen Leben mit der Checkliste der wichtigsten Merkmale.

pg

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